Vom Wuzzemarkt zur Kirmes Ehrenbreitstein - und wieder zurück?

Ehrenbreitstein war in früheren Zeiten, neben den Mühlen auch immer ein Ort des Handels gewesen. Außer den üblichen Wochenmärkten etablierten sich im Laufe der Zeit vier größere Jahrmärkte und jeder dieser Märkte hatte seine Besonderheiten. Der bedeutendste und bekannteste Jahrmarkt wurde jeweils am Namenstag des heiligen Andreas, Anfang Dezember, abgehalten. Bei diesem „Andreasmarkt“ wurden Schweine gehandelt. Es war also ein reiner Schweinemarkt und wurde im Volksmund „Wuzzemaat“ genannt.
Zu diesem Schweinemarkt kamen nach und nach immer mehr andere Verkaufsstände hinzu, sodass sich der „Wuzzemarkt“ allmählich zu einem wahren Volksfest entwickelte. Aber schon im 19. Jahrhundert standen die gehandelten Schweine nicht mehr im Vordergrund. Verkaufsstände aller Art bereicherten das Marktgeschehen. Immer mehr Gäste von nah und fern kamen zu diesem beliebten Markt, der sich mehr und mehr zu einer Ersatzkirmes entwickelte. Anders als in den meisten Orten gab es nämlich in Ehrenbreitstein keine Kirmes. Das lag wahrscheinlich daran, dass Ehrenbreitstein über Jahrhunderte zur Pfarrei Niederberg gehörte und erst Anfang des 18. Jahrhunderts eine eigene Pfarrkirche, die Kreuzkirche, erhielt. Da gab es aber schon den St. Andreasmarkt, wozu brauchte man noch eine Kirmes? Denn Buden, Schausteller, Gaukler, Musikanten, Zauberer, Wahrsager und Karussells belebten das Volksfest, dass immer größer und beliebter wurde. Über das ganze Dahl erstreckte sich der „Wuzzemarkt“. Von Diehls Hotel über den Kapuzinerplatz, die Hofstraße bis zum Bahnhof und in den Seitenstraßen gab es Buden, Schieß- und Verkaufsstände, Karussells und vieles mehr. Jeder der vielen Besucher hatte auch sein Lieblingslokal von den zahlreichen Gasthäusern und Hotels im Ort. Durch diese zogen die Musikanten und Komödianten. Originale wie „et Harfelehen“, eine schrullige Alte, die für ein paar Groschen die Gäste mit Liedern und Versen unterhielt. Ein anderes Original war der „Küssewilly“. Oberhalb der Schiffbrücke soll auch jedes Jahr die bekannte Familie Millowitsch aus Köln ihren Stand mit dem Kölner „Hänneschen Theater“ gehabt haben.

Am Freitag, den 2. Dezember 1938 schrieb die Koblenzer Volkszeitung über den kommenden „Wuzzemarkt“:
„In Ehrenbreitstein erhebt sich am Schiffbrückenvorplatz seit gestern ein Wiener Riesenrad. Wird das auf dem kommenden „Wuzzemarkt“ ein Spaß sein, mit diesem fliegenden Kreisel hoch über das Marktgeschehen, über die Bäume und den Bahndamm emporgetragen zu werden, und vom oberen Zenit über die Eisenbahn hinweg bis nach Koblenz hinüber zugucken. Mit dem Riesenrad kamen auch die übrigen Schaustellungen angerollt: Die elektrische Selbstfahrer-Bahn, die Schiffsschaukel, die Autos, Motorräder und Pferdebahn des Kinderkarussells, die Schießhalle und die Verlosungsstände. Jetzt werden auch die Verkaufsstände bald ihren Laden aufschlagen. Wenn am Sonntag Markteröffnung ist, dann haben die Ehrenbreitsteiner ihr schönes Volksfest, das alle Jahre viel Freude und viele Besucher bringt. Es ist nämlich für die alten Koblenzer abgemachte Sache, zum Andreasmarkt mit Kind und Kegel über die Schiffbrücke zu ziehen. Zwar gibt’s keine „Wuzze“ mehr wie früher, als der Marktplatz und die anliegenden Straßen vom Gequietsch der Borstentiere erfüllt waren, und man sich an den Verlosungsständen seinen Weihnachtshasen erstehen konnte. Dennoch ist es gemütlich drüben, zumal ja ein Stück Vorweihnacht mit in den Marktbetrieb hinein leuchtet. Die Dähler Gaststätten decken an den beiden Markttagen einen gastlichen Tisch, denn ein vergnügter Schoppen zum Abschluss gehört dazu, wie „off en Deppche e Deckelche“. Das war immer so und soll auch so bleiben.“

Doch keiner konnte damals ahnen, dass dies der letzte „Wuzzemarkt“ war, denn im darauffolgenden Jahr war bereits der 2. Weltkrieg.

Nach dem Krieg versuchten Dähler Bürger das alte Volksfest wieder zu beleben. Doch dieses Vorhaben war dem damaligen Klerus ein Dorn im Auge, denn der „Andreasmarkt“ lag in der Adventszeit. Im Verständnis der Kirche sollte dies eine ruhige und besinnliche Vorweihnachtszeit sein, in der keine öffentlichen Lustbarkeiten und Feiern stattfinden sollten. Insbesondere der damalige Pastor, der Kapuziner Pater Adalbert, sprach sich gegen dieses Volksfest aus. Als Ersatz schlug er eine Kirmes im Sommer vor. Aus dieser Idee entstand die Ehrenbreitsteiner Kirmesgesellschaft St. Helena 1517, die jeweils eine Kirmes im August bei „Rhein in Flammen“ feiert. Die heilige Helena war die Mutter des römischen Kaisers Konstantin, die im 4. Jahrhundert das Kreuz Christi aus dem heiligen Land nach Europa brachte. Ein Splitter dieses Kreuzes wurde in einer Reliquienmonstranz aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts in der Kreuzkirche aufbewahrt.
Die Ehrenbreitsteiner Kirmesgesellschaft führt die Tradition des „Wuzzemarktes“ nach dem 2. Weltkrieg fort. Vielleicht entsteht irgend wann auch wieder ein Andreasmarkt im Dezember.

Lied von Schambes Dommermuth, Großvater der Gebrüder Dommermuth Ende 19., Anfang 20. Jahrhundert über den „Wuzzemarkt“:
„Ich well erewwer laafe onen Wutz mer kaafe, sääd dä Härr zo säiner Frau Gemahl. Denn ganz ongehäier wierd dat Fleisch jetz däier on et es grad Wutzemaat em Dahl. Wie dä erewwer es komme, hätt ä sich net lange besonne, hett die Verdelcher gedetzt enorm. Morjens em halewer siwwe kimmt en Wutz getrewwe – awer, awer en ner annere Form.“

Dr. Joachim Kneis